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DSJ-Forum

Ausgabe 07 2003

 

 

Nachwuchsförderung im Ehrenamt

 

Die diesjährige Herbsttagung der Deutschen Schachjugend beschäftigte sich mit einem der zentralen Themen der Verbands- und Vereinsarbeit überhaupt, dem Nachwuchs für die ehrenamtliche Arbeit, die Nachwuchsgewinnung, -förderung für das Ehrenamt.

 

Neben den Vertretern der Landesschachjugenden nahmen die „Betroffenen“ teil, die jugendlichen Nachwuchskräfte, denn zeitgleich fand ein Seminar für engagierte Jugendliche statt, die zu diesem Programmpunkt Teilnehmer der Herbsttagung wurden.

 

Die Ausgangslage:

 

Im Sport ist die Frage des Nachwuchses von existentieller Bedeutung. Wer nicht rechtzeitig damit beginnt, junge Talente auszubilden, wird irgendwann feststellen müssen, dass er nicht mehr in der Lage ist, das sportliche Niveau zu halten. Dieses Prinzip von rechtzeitiger und umfassender Nachwuchsschulung als gut angelegte Altersvorsorge lässt sich allerdings nicht auf den Sport beschränken, sondern behält seine Gültigkeit für jeden einzelnen Bestandteil unserer Gesellschaft.

 

Die Nachwuchsproblematik im Ehrenamt unterscheidet sich allerdings ganz wesentlich von der in anderen Bereichen. Unternehmen bilden ihre jungen Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen weiter und sichern sich somit einen qualifizierten Stamm, auf den sie im Bedarfsfall zurückgreifen können. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet die Verfügbarkeit gegenüber dem Arbeitgeber.

 

Ehrenamtliche Mitarbeit geschieht hingegen freiwillig und die Organisation, die von dem Engagement profitiert, kann einer Mitarbeit nie versichert sein. Nachwuchsförderung bedeutet im Ehrenamt also nicht in erster Linie Ausbildung, sondern viel mehr, das Interesse an einem freiwilligen Engagement zu wecken und zu erhalten. Gerade Jugendorganisationen haben mit der Begleiterscheinung zu kämpfen, dass ihre jungen Mitarbeiter ständig auf neue Lebensumstände treffen, die schnelle Veränderungen mit sich bringen und häufig einen Abbruch aller Verpflichtungen als plötzliche Konsequenz nach sich ziehen.

 

Aus der Kombination dieser Erkenntnisse ergeben sich drei für die Nachwuchsgewinnung und Nachwuchserhaltung relevante Fragestellungen.

  • Wie organisiere ich Mitarbeit, so dass sie interessant für Jugendliche ist?
  • Wie gewinne ich Jugendliche für solche Formen der Mitarbeit?
  • Wie gelingt es mir, meine Mitarbeiter zu motivieren, damit ich möglichst lange etwas von ihnen habe?

 

Die drei Fragekomplexe sollten bearbeitet werden in drei Arbeitsgruppen. Doch dazu kommen wir später in den Folgeausgaben des FORUMs.

 

Den Einstieg in das Thema gab der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Helmut Richter von der Hamburger Universität.

 

Was sagt die Forschung zum Thema, wie beurteilt sie die Situation?

 

Gibt es die Krise ums Ehrenamt, von der man so gerne spricht, wenn es in der Verbands-, Vereinsarbeit Probleme gibt? Oder hat die Bundesregierung recht, die in ihrer Enquete-Kommission herausgefunden haben will, dass noch so viel ehrenamtliches Engagement in der Gesellschaft anzutreffen war wie derzeit?

 

Das Referat:

 

Dr. Richter stieg in das Thema ein, in dem er sich mit dem „Arbeitsfeld“ des ehrenamtlich Tätigen auseinandersetzte, mit dem Verein.

 

Von seinen Untersuchungen über den Verein soll hier herausgestellt werden, dass die Bedeutung des Vereines an zwei gleichberechtigten Merkmalen festzumachen ist, die bei der Arbeit und der Pflege der Vereine beachtet werden müssen:

  • die Sachorientierung
  • die Geselligkeit

 

Will der Verband den Vereinen helfen, muss er diese beiden Merkmale beachten. Auf uns umgesetzt bedeutet das, es muss die Sachorientierung bedient werden durch Spielbetriebsangebote, durch Kompetenz in der Verwaltung etc, aber es muss auch die Geselligkeit bedient werden, zum Beispiel durch die Breitenschachangebote, durch die allgemeine Jugendarbeit etc. Wer sich nur um das eine kümmert, nur dem einen Bedeutung beimisst, wird den Wünschen der Vereine nicht gerecht.

 

Die beiden Merkmale der Vereine werden auch deutlich in der Ausprägung der Arbeit der Vereine: Sie entwickeln ein „Dienstleistungs-Kundschafts-Verhältnis: Der Verein wird zum Betrieb“. Oder sie erhalten die Funktion der Ersatzfamilie für die Mitglieder. Oder wie Richter sagt: „Auf der anderen Seite können wir eine Rückkehr zum Patriarchat in der Form einer führerorientierten und gleichzeitig politisch passiven „Vereinsmeierei“ erleben: Der Verein wird zur Ersatz-Familie.“

 

Diese Merkmale und Hinwendungen der Vereine zu entgegengesetzten Schwerpunkten müsste sich auch auf das ehrenamtliche Engagement auswirken. Wer ist bereit zu ehrenamtlicher Arbeit und warum?

 

Zuerst der Blick auf die Zahlen, Fakten, die allerdings nur Verwirrung und Verunsicherung bringen, denn die Untersuchungen vergleichen „Äpfel mit Birnen“

 

„Was die Zahl der Ehrenamtlichen angeht, so werden wir gegenwärtig immer wieder mit einer doppelten Botschaft konfrontiert. Während uns die Wissenschaft darüber informiert, dass der Anteil an ehrenamtlichen Aktivitäten in der Bundesrepublik nicht rückläufig sei und seit den 1980 Jahren sogar leicht zugenommen haben könnte (OFFE/FUCHS 2001, S. 440), wird im politischen Raum und auch von Seiten der Verbände immer wieder beklagt, dass in unserer Gesellschaft und insbesondere bei den jungen Menschen die Bereitschaft sinke, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen (ANTWORT DER BUNDESREGIERUNG 1996, S. 26; POSITIONSPAPIER des LFV 2000, S. 2). Worauf gründen sich die wissenschaftlichen Fakten?“

 

Es gibt Untersuchungen, die kommen auf 40 Prozent ehrenamtliches Engagement in der Gesellschaft, andere kommen nur auf 13 Prozent. Woran liegt es?

 

„Das Hauptproblem dürfte darin liegen, was wir unter dem Begriff Ehrenamt verstehen bzw. wem wir es überlassen, den Begriff zu definieren: den Forschern oder den Befragten. Wird ausschließlich und ohne nähere Erläuterung nur nach „ehrenamtlichen Tätigkeiten“ gefragt, liegt die Antwort bei 15 Prozent insgesamt (so im SOZIOÖKONOMISCHEN PANEL (SOEP)) bzw. bei 9 % der Jugendlichen im Alter von 14 – 24 Jahren (Freiwilligensurvey 1999, Bd. 3, S. 133f.). Wird jedoch zusätzlich das „Engagement“, die „Beteiligung“ oder die „gesellschaftliche Aktivität“ abgefragt, ergibt sich - auch bei den Jugendlichen - ein Aktivitätsgrad von teilweise deutlich über 30 Prozent – wie in der KLAGES-Umfrage, aber auch im SOEP (vgl. HEINZE/OLK 1999, S. 90), im Freiwilligensurvey 1999 (Bd. 3, S. 127) oder zuletzt in der neuesten Shell-Jugendstudie 2002.“

 

Wissen wir vom Schach eigentlich, nach was wir fragen, was wir erwarten, wenn wir über mangelndes Engagement klagen? Haben wir die „ehrenamtliche Erwartung“ von uns definiert?

 

Zu unterscheiden ist zum Beispiel zwischen dem Ehrenamt als „regelmäßige und längerfristige Tätigkeit“ und dem „freiwilligen Kurzzeit-Engagement.“ Wird zwischen Ehrenamt und freiwilligem Engagement unterschieden, so lässt sich aus den aktuellen Zahlen über die Entwicklung des Ehrenamtes zumindest folgendes sagen: „Der Anteil der regelmäßig mindestens einmal im Monat ehrenamtlich Aktiven ist in den letzten 15 Jahren zurückgegangen, während die seltener ausgeübten Aktivitäten deutlich zugenommen haben.“

 

Was motiviert einen nun, sich zu engagieren oder ein Ehrenamt zu übernehmen, welche Hemmnisse gibt es?

 

„Die folgende eine Übersicht aus dem Freiwilligensurvey 1999 (Bd. 3, S. 157 u. 160) an. Sie informiert uns über die „Erwartungen Jugendlicher an freiwillige Tätigkeit“ und inwieweit sie eingelöst werden. Repräsentativ befragt worden sind alle freiwillig Engagierten. Der helle Balken gibt die Antworten der engagierten Jugendlichen wieder, der dunkle Balken die der freiwillig Engagierten insgesamt. Per Hand habe ich die eingelösten Erwartungen hinzugefügt.“

„Bei den Erwartungen steht bei den Jugendlichen – nicht unerwartet - der „Spaß“ an erster Stelle, aber eben auch bei allen anderen Altersgruppen. Hoch besetzt ist ebenfalls das Zusammenkommen mit „sympathischen Menschen“. Auffällig ist dann, dass es für engagierte Jugendliche wichtiger als für die anderen Altersgruppen erscheint, „eigene Kenntnisse und Erfahrungen zu erweitern“ als „anderen Menschen zu helfen“ oder „etwas für das Gemeinwohl zu tun“. Bemerkenswert ist zudem, dass es für engagierte Jugendliche bedeutungsvoller ist als für die freiwillig Engagierten insgesamt, „eigene Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten“ zu haben und für die Tätigkeit auch „Anerkennung“ zu finden. Hinzuweisen ist schließlich noch darauf, dass engagierte Jugendlichen deutlich höhere Erwartungen als alle Engagierten mit der Aussage verbinden, in einer freiwilligen Tätigkeit „berechtigte eigene Interessen zu vertreten“ oder einen „Nutzen auch für berufliche Möglichkeiten“ zu haben, dass aber diese Erwartungen insgesamt nur einen vergleichsweise geringen Stellenwert haben.

 

Was die Einlösung dieser Erwartungen angeht, so zeigen die handschriftlichen Ergänzungen, dass sie in hohem Maße erfolgt ist. Zu beachten sind allerdings die Einlösungsdefizite bei den Bedürfnissen, „eigene Kenntnisse und Erfahrungen zu erweitern“, „etwas für das Gemeinwohl zu tun“ und „anderen Menschen zu helfen“ sowie „eigene Verantwortung und Entscheidungsmöglichkeiten zu haben“.

 

Welche Gründe sind für dich von Bedeutung, damit du dich engagierst?

- Angaben in Prozent -

Gründe
wichtig /
weniger
 
sehr wichtig
wichtig
Spaß haben
95
 
Freunde machen mit
65
 
Jederzeit aussteigen können
88
 
Mitbestimmen können
76
 
Geld verdienen
 
48
Nur mit anderen Jugendlichen
 
45

Quelle: Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.): Jugend '97.Grundauszählung. Opladen 1997

 

„Wie eventuell zu erwarten, finden es danach 95% der befragten Jugendlichen wichtig bis sehr wichtig, dass ihr Engagement Spaß macht. Zwei Drittel halten es für wichtig bis sehr wichtig, dass Freunde dabei mitmachen. Geld mit einer freiwilligen Tätigkeit zu verdienen, scheint demgegenüber nur eine vergleichsweise geringe Rolle zu spielen, so dass fast 50 % es für weniger wichtig ansehen. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass es für fast 90 % der Jugendlichen wichtig bis sehr wichtig ist, jederzeit aussteigen zu können. Und für einen ebenso großen Prozentsatz ist nicht weniger wichtig, darüber mitbestimmen zu können, was sie genau zu tun haben, während nur knapp 50 % es für wichtig bis sehr wichtig halten, einzig mit Gleichaltrigen zusammenzuarbeiten (JUGENDWERK 1997, Diskette Grundauszählung).“

 

Sehen wir uns demgegenüber abschließend eine Übersicht über die „Hinderungsgründe für ein ehrenamtliches Engagement“ bei Jugendlichen an, die nicht ehrenamtlich tätig sind:

 

Hinderungsgründe für Engagement

- Angaben in Prozent -

Basis Nicht-Engagierte
                                 Nicht-      Nichtengagierte     Jugendliche
                                 Engagierte  insge-              14-19 20-24
Stimme voll / teilweise zu       insgesamt   samt   Ost  Frauen  Jahre Jahre

Für so etwas fehlt mir die Zeit        71     79     80    80      74    85
Kann ich mir finanziell nicht Leisten  37     49     58    51      49    49
Nicht für Leute in meinem Alter        34     41     55    37      50    29
Bin nicht geeignet                     36     41     46    40      42    40
Nur Arbeit und Ärger,
bringt Einem selbst nichts             37     36     37    32      41    33

Quelle: Freiwilligensurvey 1999, Bd. 3, S. 191

 

 

Von besonderer Bedeutung – und zwar bei den Jugendlichen in noch größerem Maße als bei allen Nicht-Engagierten – ist hier für fast 80% der Zeitfaktor. Aber auch der Punkt Finanzen spielt eine wichtige Rolle, vor allem in Verbindung mit dem Faktor Zeit.

 

Fortsetzung

 

In den kommenden Ausgaben des DSJ-FORUMS wird dieses Thema weiter behandelt. Es folgen eine abschließende Auswertung des Einstiegsreferates und die Präsentation der Ergebnisse der Arbeitsgruppen.

 

(Jörg Schulz)

 

 

Impressum DSJ-Forum

 

Herausgeber: Deutsche Schachjugend, www.deutsche-schachjugend.de

Verlag: JugendSchachVerlag, Partner der Deutschen Schachjugend

Redaktionsanschrift: Geschäftsstelle Deutsche Schachjugend, Jörg Schulz, Hanns-Braun-Str. Friesenhaus I, 14053 Berlin.

 

Das DSJ-FORUM ist das Informationsblatt der Deutschen Schachjugend. Es erscheint 10mal im Jahr als Beilage der Zeitung JUGENDSCHACH.

Das DSJ-FORUM wird gefördert aus Bundesmitteln des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.