Nachwuchsförderung im Ehrenamt
Die diesjährige Herbsttagung der Deutschen Schachjugend beschäftigte sich mit einem der zentralen Themen der Verbands- und Vereinsarbeit überhaupt, dem Nachwuchs für die ehrenamtliche Arbeit, die Nachwuchsgewinnung, -förderung für das Ehrenamt.
Neben den Vertretern der Landesschachjugenden nahmen die „Betroffenen“ teil, die jugendlichen Nachwuchskräfte, denn zeitgleich fand ein Seminar für engagierte Jugendliche statt, die zu diesem Programmpunkt Teilnehmer der Herbsttagung wurden.
Die Ausgangslage:
Im Sport ist die Frage des Nachwuchses von existentieller Bedeutung. Wer nicht rechtzeitig damit beginnt, junge Talente auszubilden, wird irgendwann feststellen müssen, dass er nicht mehr in der Lage ist, das sportliche Niveau zu halten. Dieses Prinzip von rechtzeitiger und umfassender Nachwuchsschulung als gut angelegte Altersvorsorge lässt sich allerdings nicht auf den Sport beschränken, sondern behält seine Gültigkeit für jeden einzelnen Bestandteil unserer Gesellschaft.
Die Nachwuchsproblematik im Ehrenamt unterscheidet sich allerdings ganz wesentlich von der in anderen Bereichen. Unternehmen bilden ihre jungen Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen weiter und sichern sich somit einen qualifizierten Stamm, auf den sie im Bedarfsfall zurückgreifen können. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet die Verfügbarkeit gegenüber dem Arbeitgeber.
Ehrenamtliche Mitarbeit geschieht hingegen freiwillig und die Organisation, die von dem Engagement profitiert, kann einer Mitarbeit nie versichert sein. Nachwuchsförderung bedeutet im Ehrenamt also nicht in erster Linie Ausbildung, sondern viel mehr, das Interesse an einem freiwilligen Engagement zu wecken und zu erhalten. Gerade Jugendorganisationen haben mit der Begleiterscheinung zu kämpfen, dass ihre jungen Mitarbeiter ständig auf neue Lebensumstände treffen, die schnelle Veränderungen mit sich bringen und häufig einen Abbruch aller Verpflichtungen als plötzliche Konsequenz nach sich ziehen.
Aus der Kombination dieser Erkenntnisse ergeben sich drei für die Nachwuchsgewinnung und Nachwuchserhaltung relevante Fragestellungen.
- Wie organisiere ich Mitarbeit, so dass sie interessant für Jugendliche ist?
- Wie gewinne ich Jugendliche für solche Formen der Mitarbeit?
- Wie gelingt es mir, meine Mitarbeiter zu motivieren, damit ich möglichst lange etwas von ihnen habe?
Die drei Fragekomplexe sollten bearbeitet werden in drei Arbeitsgruppen. Doch dazu kommen wir später in den Folgeausgaben des FORUMs.
Den Einstieg in das Thema gab der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Helmut Richter von der Hamburger Universität.
Was sagt die Forschung zum Thema, wie beurteilt sie die Situation?
Gibt es die Krise ums Ehrenamt, von der man so gerne spricht, wenn es in der Verbands-, Vereinsarbeit Probleme gibt? Oder hat die Bundesregierung recht, die in ihrer Enquete-Kommission herausgefunden haben will, dass noch so viel ehrenamtliches Engagement in der Gesellschaft anzutreffen war wie derzeit?
Das Referat:
Dr. Richter stieg in das Thema ein, in dem er sich mit dem „Arbeitsfeld“ des ehrenamtlich Tätigen auseinandersetzte, mit dem Verein.
Von seinen Untersuchungen über den Verein soll hier herausgestellt werden, dass die Bedeutung des Vereines an zwei gleichberechtigten Merkmalen festzumachen ist, die bei der Arbeit und der Pflege der Vereine beachtet werden müssen:
- die Sachorientierung
- die Geselligkeit
Will der Verband den Vereinen helfen, muss er diese beiden Merkmale beachten. Auf uns umgesetzt bedeutet das, es muss die Sachorientierung bedient werden durch Spielbetriebsangebote, durch Kompetenz in der Verwaltung etc, aber es muss auch die Geselligkeit bedient werden, zum Beispiel durch die Breitenschachangebote, durch die allgemeine Jugendarbeit etc. Wer sich nur um das eine kümmert, nur dem einen Bedeutung beimisst, wird den Wünschen der Vereine nicht gerecht.
Die beiden Merkmale der Vereine werden auch deutlich in der Ausprägung der Arbeit der Vereine: Sie entwickeln ein „Dienstleistungs-Kundschafts-Verhältnis: Der Verein wird zum Betrieb“. Oder sie erhalten die Funktion der Ersatzfamilie für die Mitglieder. Oder wie Richter sagt: „Auf der anderen Seite können wir eine Rückkehr zum Patriarchat in der Form einer führerorientierten und gleichzeitig politisch passiven „Vereinsmeierei“ erleben: Der Verein wird zur Ersatz-Familie.“
Diese Merkmale und Hinwendungen der Vereine zu entgegengesetzten Schwerpunkten müsste sich auch auf das ehrenamtliche Engagement auswirken. Wer ist bereit zu ehrenamtlicher Arbeit und warum?
Zuerst der Blick auf die Zahlen, Fakten, die allerdings nur Verwirrung und Verunsicherung bringen, denn die Untersuchungen vergleichen „Äpfel mit Birnen“
„Was die Zahl der Ehrenamtlichen angeht, so werden wir gegenwärtig immer wieder mit einer doppelten Botschaft konfrontiert. Während uns die Wissenschaft darüber informiert, dass der Anteil an ehrenamtlichen Aktivitäten in der Bundesrepublik nicht rückläufig sei und seit den 1980 Jahren sogar leicht zugenommen haben könnte (OFFE/FUCHS 2001, S. 440), wird im politischen Raum und auch von Seiten der Verbände immer wieder beklagt, dass in unserer Gesellschaft und insbesondere bei den jungen Menschen die Bereitschaft sinke, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen (ANTWORT DER BUNDESREGIERUNG 1996, S. 26; POSITIONSPAPIER des LFV 2000, S. 2). Worauf gründen sich die wissenschaftlichen Fakten?“
Es gibt Untersuchungen, die kommen auf 40 Prozent ehrenamtliches Engagement in der Gesellschaft, andere kommen nur auf 13 Prozent. Woran liegt es?
„Das Hauptproblem dürfte darin liegen, was wir unter dem Begriff Ehrenamt verstehen bzw. wem wir es überlassen, den Begriff zu definieren: den Forschern oder den Befragten. Wird ausschließlich und ohne nähere Erläuterung nur nach „ehrenamtlichen Tätigkeiten“ gefragt, liegt die Antwort bei 15 Prozent insgesamt (so im SOZIOÖKONOMISCHEN PANEL (SOEP)) bzw. bei 9 % der Jugendlichen im Alter von 14 – 24 Jahren (Freiwilligensurvey 1999, Bd. 3, S. 133f.). Wird jedoch zusätzlich das „Engagement“, die „Beteiligung“ oder die „gesellschaftliche Aktivität“ abgefragt, ergibt sich - auch bei den Jugendlichen - ein Aktivitätsgrad von teilweise deutlich über 30 Prozent – wie in der KLAGES-Umfrage, aber auch im SOEP (vgl. HEINZE/OLK 1999, S. 90), im Freiwilligensurvey 1999 (Bd. 3, S. 127) oder zuletzt in der neuesten Shell-Jugendstudie 2002.“
Wissen wir vom Schach eigentlich, nach was wir fragen, was wir erwarten, wenn wir über mangelndes Engagement klagen? Haben wir die „ehrenamtliche Erwartung“ von uns definiert?
Zu unterscheiden ist zum Beispiel zwischen dem Ehrenamt als „regelmäßige und längerfristige Tätigkeit“ und dem „freiwilligen Kurzzeit-Engagement.“ Wird zwischen Ehrenamt und freiwilligem Engagement unterschieden, so lässt sich aus den aktuellen Zahlen über die Entwicklung des Ehrenamtes zumindest folgendes sagen: „Der Anteil der regelmäßig mindestens einmal im Monat ehrenamtlich Aktiven ist in den letzten 15 Jahren zurückgegangen, während die seltener ausgeübten Aktivitäten deutlich zugenommen haben.“
Was motiviert einen nun, sich zu engagieren oder ein Ehrenamt zu übernehmen, welche Hemmnisse gibt es?
„Die folgende eine Übersicht aus dem Freiwilligensurvey 1999 (Bd. 3, S. 157 u. 160) an. Sie informiert uns über die „Erwartungen Jugendlicher an freiwillige Tätigkeit“ und inwieweit sie eingelöst werden. Repräsentativ befragt worden sind alle freiwillig Engagierten. Der helle Balken gibt die Antworten der engagierten Jugendlichen wieder, der dunkle Balken die der freiwillig Engagierten insgesamt. Per Hand habe ich die eingelösten Erwartungen hinzugefügt.“