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DSJ-Forum

Ausgabe 04 2002

 

 

125 Jahre Deutscher Schachbund

- wie aus einer grauen Maus ein zukunftsfähiger Sportverband wird -

 

125 Jahre lang Deutscher Schachbund ist gleichbedeutend mit viel Tradition, gediegener Führung und viel Beschäftigung mit sich selbst. Das Motto lautet:

 

  weiter so, es ist noch immer gut gegangen!

 

Schafft man so auch die nächsten 125 Jahre? Auf jeden Fall, keine Frage.

 

Nur wie man dann dastehen wird, möchte man sich nicht ausmalen. Schauen wir nur einige Jahre zurück. Im Zuge der Wiedervereinigung der beiden Deutschen Schachverbände erhoffte man sich endlich den deutlichen Sprung über die Grenze von 100.000 Mitgliedern. Das müsste doch zu erreichen sein! Doch dann die schreckliche Erkenntnis, das Gegenteil ist der Fall: zielstrebig nähert man sich der Marke von 90.000 Mitgliedern. Es können durch die Deutsche Schachjugend gar nicht so viele Kinder für den Schachsport geworben werden, wie im Erwachsenenverband verloren gehen.

 

Was tut der DSB dagegen? Schaut er sich bei anderen Verbänden um, die ähnliche Durststrecken durchlaufen und als Antwort darauf ihre Sportart in Regelfragen und in der öffentlichen Präsentation verändern?

 

Der DSB doch nicht! Das wird schon wieder werden.

 

Zwar wurde ein Marketingkonzept erarbeitet, doch interessiert sich dafür keiner.

 

Zwar hat man einen dynamischen Breitensportreferenten, doch diesen lässt man lieber auf seinem Posten verhungern.

 

Zwar hat man eine dynamische junge Schachjugend in den eigenen Reihen, doch die wird eher als störend empfunden. Und als sie in eine interne Krise gerät, nutzt man dieses schnellstmöglich aus, um ihren Einfluss zurückzudrängen.

 

Und trotzdem: zum Jubiläum bat man die Deutsche Schachjugend, einige Gedanken zur Zukunft des Deutschen Schachbundes zu äußern.

 

Alibi oder wirkliches Interesse?

Egal.

 

Der Vorstand der Deutschen Schachjugend analysierte nach eigenen Erfahrungen und kam zu folgendem Ergebnis:

 

Der Deutsche Schachbund hat gute Chancen für eine erfolgreiche Zukunft, wenn er vor allem den Willen zur Veränderung in den Vordergrund stellt und die Eigendarstellungen der Funktionäre nach ganz hinten schiebt. Falls ab sofort inhaltlich auf den Gremiensitzungen des DSB gearbeitet wird und nicht Nabelschau und Machtkampf im Vordergrund stehen. Wenn innovativ gedacht wird und neuen Ideen Platz gegeben wird. Dann kann die Schere zwischen dem Zustand des Deutschen Schachbundes und dem hohen Ansehen, das das Schachspiel in der Gesellschaft genießt, verkleinert werden.

  Der Schachspieler als Zielgruppe

 

In den Mittelpunkt aller Überlegungen muss zuallererst wieder der Schachspieler gestellt werden. Er ist die Zielgruppe, um die sich der DSB kümmern muss:

 

Was er möchte?

Wie er Schach spielen will?

Wann und wie lange, in welchem Ambiente?

Was ihn zum Schach treibt?

Was er erwartet von den Organisatoren?

 

Derzeit stehen im Mittelpunkt das Regelwerk, die Verwaltung des Spielbetriebes mit vielen Hindernissen für das Sporttreiben, mit Strafen und Gebühren. Natürlich reagieren die Schachspieler und die Vereine darauf. Sie melden ihre Mitglieder nicht und ziehen lieber Mannschaften zurück, als Risiken einzugehen. Den Spielleiter mag es freuen, das Schach befördert es nicht.

 

Stattdessen: Flexibilität ist gefragt! Ein Einsteigen zu jeder Zeit mit verschiedenen Formen von Mitgliedschaften sind zu erproben, über Spielzeiten ist nachzudenken. Wie muss ich Schach anbieten, wie kann ich es dem Freizeitverhalten der heutigen Zeit angleichen?

 

  Trends erkennen - Trends aufgreifen

 

Wie will und kann der Spielleiter Trends aber erkennen? Gar nicht, denn er findet nichts darüber im Regelwerk! Vielmehr benötigt der Deutsche Schachbund Trendforscher, oder, weniger professionell ausgedrückt, er muss sich mit den Trends der Gesellschaft beschäftigen. Es gibt zahlreiche Untersuchungen darüber, die als Grundlage dafür dienen können. Und dann muss der DSB natürlich gewillt sein, die aufgezeigten Trends auch aufzugreifen und bemüht sein, das Schachspiel darauf auszurichten.

 

  Ideengeber ran lassen - Mut zur Veränderung

 

Das führt aber nur zum Erfolg, wenn der DSB kreative, innovativ denkende Persönlichkeiten in die Funktionen wählt, die den Mut zur Veränderung mitbringen. Mut deshalb, da nicht jede Veränderung erfolgreich sein muss. Wer verändern will, muss auch Rückschläge in Kauf nehmen können, muss flexibel und bereit sein, sich zu hinterfragen und Korrekturen vorzunehmen. Eine gescheiterte Idee bringt dem Gesamten immer mehr als ein "weiter so"! Der DSB benötigt weniger Funktionärsgremien, stattdessen verschiedene Zukunftswerkstätten mit Mitarbeitern, die am besten von außen gewonnen werden.

 

  Schach mit zeitgemäßen Ideen -

  Schach immer und überall

 

Schach muss zu jeder Zeit und überall gespielt werden können und zwar als Angebot des Verbandes und nicht zu Hause mit der Spielesammlung. Schach muss daher eng zusammen arbeiten mit anderen Freizeiteinrichtungen und Verbänden, mit Ferienorten, mit Kneipen etc. Schach muss auf die Straße, muss erkennbar sein, damit man überall darüber fällt. Heraus aus den verrauchten Hinterzimmern und hinein ins Leben. Der Verband darf keine Angst vor dem Computer, dem Internet oder anderen Schachanbietern haben. Er muss vielmehr die Zusammenarbeit suchen und anstreben, die Rolle des Ideengebers zu übernehmen.

 

  Schach als Event

 

Ach, wie war das früher einfach. Man brauchte nur einige Bretter aufzubauen und schon war der Schachspieler zufrieden gestellt und spielte sein Turnier. So geht es auch heute noch. Doch immer mehr Schachfreunde möchten heutzutage mehr erleben als eine Partie am Tag. Er erwartet ein Tagesprogramm, einen ansprechenden Rahmen um das Turnier. Er möchte seine Turnierwoche gestaltet bekommen vor und nach der Partie. Dazu gehört ein Programm für den Lebenspartner und ein Ambiente, in dem man sich wohl fühlt. Er möchte vermittelt bekommen, dass er im Mittelpunkt der Veranstaltung steht.

 

Die Deutsche Amateurmeisterschaft des Deutschen Schachbundes war ein guter Schritt in die richtige Richtung. Und wie war die Reaktion darauf beim DSB, bei den Landesverbänden? Zu großer Aufwand, zu viele Mitarbeiter, zu teuer, das rechnet sich nicht. Und diese Reaktion angesichts von weit über 1.000 begeisterten Schachspielern, die sich nach langer Zeit mal wieder zu einem Turnier aufrafften, weil das Angebot stimmte, weil sie sich angesprochen fühlten!

 

Oder nehmen wir die Deutschen Jugendmeisterschaften, bei denen sich sogar der Spieler auf dem 100. Platz auf die nächste Meisterschaft freut und hofft dabei zu sein. Weil es ein Erlebnis ist! Weil man eine Woche lang dabei sein darf, beim größten Schachevent des Jugendschachs in Deutschland. Die Reaktion des DSB: Es gibt zu viel Ablenkung vom Leistungssport, so werden wir nie die 2700 Elo erreichen, ein Tod des Leistungssports, zu teuer etc... Da haben 350 Kinder und Jugendliche und ihre ca. 300 Begleiter eine Woche lang ein hervorragendes Schacherlebnis, aber die Bedenkenträger des DSB wissen alles besser, ohne oftmals noch nicht einmal dabei gewesen zu sein!

 

Wann erkennen auch sie, dass Schach mit und von Schachevents lebt?

 

Wir hoffen bald, denn sonst ist der Zug abgefahren und fährt ohne den DSB in Richtung Zukunft ...!

 

  Schach in der Öffentlichkeit

 

Doch was nützt das schönste Event, wenn keiner davon spricht?

Schach hat einen hohen Bekanntheitsgrad in der Gesellschaft, ca. 30 Millionen, ein Drittel der Bevölkerung, beherrschen die Schachregeln. Nimmt man die Lebensläufe bekannter Persönlichkeiten zur Hand, so findet man zumeist Schach erwähnt.

 

Aber warum bekennen sich diese Persönlichkeiten nicht öffentlich zum Schachspiel und Schachsport? Was tut der DSB für diese Top-Leute der Gesellschaft? Wie kümmert, bemüht sich der DSB um diese Leute? Was tut er dafür, dass sich die Persönlichkeiten offen zum Schach bekennen? Wie steht es um die Öffentlichkeitsarbeit des DSB?

 

Sie wird von Amateuren betrieben, die keine Fachleute sind, die mit wenig zufrieden sind. Und Geld will man erst recht nicht dafür ausgeben. Das hat ja auch nichts mit Leistungssport zu tun. Wer grüßt wen zum Geburtstag oder zu Weihnachten, das reicht dem DSB. Das reicht aber nicht, um Schach in der Gesellschaft erkennbar zu positionieren!

 

  Vereine unterstützen

 

Der Schachsport ist so gut oder schlecht wie die Vereine es sind. Eine Binsenweisheit. Doch wie reagiert der DSB darauf? Er sei ein Verband der Verbände und damit also nicht zuständig für die Vereine. Man will sich ja nicht in "fremde" Angelegenheiten einmischen!

Ein schwerer Fehler, denn was tun die Landesverbände für die Vereine? Man schafft Regeln und hofft, dass die Vereine nicht über zu hohe Beiträge meckern. Aber sonst? Da könnte der DSB ja auch mal was tun. Recht so. Hin und her schieben, so löst man es am besten!

 

Dann hat der DSB doch reagiert und das Qualitätssiegel für Vereine geschaffen. Ein Gütesiegel für hervorragende Arbeit vor Ort. Und was tun die Landesverbände? Sie schweigen darüber. Oder das Grüne Band der Dresdner Bank für gute Jugendarbeit im Leistungsbereich. Was tun die Landesverbände? Sie streiten über Zuständigkeiten und Formalien! Warum motivieren sie die Vereine nicht zur Teilnahme?

 

Nein, im DSB und bei den 17 Landesverbänden spielen die Vereine keine Rolle. Der Bereich Breitensport hat Schritte in Richtung auf die Vereine unternommen. Das allerneueste Zeichen ist der Vereinsservice. Mal sehen wie er von den Landesverbänden unterstützt wird!

 

Nur das sei dem DSB mit seinen 17 Landesverbänden ins Stammbuch geschrieben:

 

wenn sie die Vereine nicht motivieren, ihnen nicht bei der Arbeit helfen, dann kann dem DSB auch nicht geholfen werden. Denn die Vereine werben für den Schachsport, sie kümmern sich um die Mitglieder. Bei ihnen finden sie ihr Angebot! Sie halten die Mitglieder, nicht der DSB oder die 17 Landesverbände.

 

  Breitensport - Leistungssport

 

Ach ja, es ist ja noch die Frage zu beantworten, was mehr gefördert werden muss, der Breitensport oder der Leistungssport?

Ist das überhaupt eine ernsthaft gestellte Frage?

 

Natürlich ist beides gleichberechtigt zu fördern, so wie es in der vom DSB-Kongress verabschiedeten Breitenschachkonzeption verankert ist! Ohne die Leistungen und herausragenden Ergebnisse, wie sie von der Nationalmannschaft in letzter Zeit erbracht werden, kann ein Verband in der Öffentlichkeit nicht präsent sein, aber ohne den Breitensport spricht er die Breite von Schachliebhabern, die selbst Schach spielen wollen, nicht an.

 

Also beides gleichberechtigt nebeneinander, das ist die Antwort auf die Nichtfrage!

 

Aber von wegen Nichtfrage, für den DSB ist es eine. Für den Breitensport wird schon zu viel getan, so heißt es. Richtig. Für den Breitensport werden ca. 18.000 Euro und für den Leistungssport ca. 100.000 Euro ausgegeben. Da muss man sich um die Prioritäten Sorgen machen!

 

  Zum Schluss

 

Wenn sich der Deutsche Schachbund künftig an seinen Mitgliedern, den Schachspielern, orientiert, wenn er die Vereine in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt, wenn sich die Funktionäre selbst an die letzte Stelle der Aufmerksamkeit stellen, dafür der Öffentlichkeitsarbeit, dem Breitenschach und dem Leistungssport hohe Priorität eingeräumt werden, dann brauchen wir keine Angst vor der Zukunft zu haben. Und die 150.000 Mitglieder, von denen der Referent für Öffentlichkeitsarbeit des DSB träumt, stellen keine Hürde dar.

 

Der Vorstand der DSJ

- Die DSJ - die Zukunft des DSB -

 

Leserbrief

Betreff: Sehr guter Artikel

Datum: Mon, 27 May 2002 11:25:48 EDT

Von: Wraedler@aol.com

An: SchulzJP@aol.com

 

Sehr geehrter Herr Schulz,

 

aus Ihrem Artikel "125 Jahre Deutscher Schachbund - wie aus einer grauen Maus ein zukunftsträchtiger Sportverband wird" sehe ich, dass Sie die Problematik gut erfasst haben. Ihre Ansätze sind hervorragend, ich kann sie alle unterschreiben.

 

Herr Kueffner vom Bayerischen Fussballverband ist ein grossartiger Mann mit viel Lebensweisheit. Vor Jahren hat er die INitiative: "Fussball ist mehr als ein 1:0" ins Leben gerufen. Ich bin sehr erfreut, dass die Deutsche Schachjugend mit Aktionen wie dem Feriensommerlage (Bayern hat leider Schule) und den Jugendsprechertreffen auch hier aktiv ist.

 

Gerade in der heutigen Zeit mit schrecklichen Begebenheiten wie dem Erfurter Massaker muessen die Vereine und Verbaende, die sich um den einzelnen kuemmern gestaerkt werden. Ob dies ein Schach, Fussball, Baseball oder Trachtenverein ist, ist egal, dies gilt fuer alle.

 

Gegen die Kuerzungen auf dem Sektor der Breitenvereine (Sie haben die Zahlen genannt), gilt es entschiedend anzukaempfen. Natuerlich kann man nicht mit Zahlen herumschmeissen wie beim Leistungssport, wo die Ergebnisse messbar sind, ich persoenlich halte dies aber die Hauptaufgabe von Vereinen, dass Kinder und Jugendliche dort aufgehoben werden. Ob die Kinder und Jugendliche, mittlere, gute oder sehr gute Schachspieler werden, ist nicht das Wesentliche.

 

Paul Breitner, der Weltmeister trainiert in Brunnthal immer die kleinsten Fussballer. Einmal hatte seine Mannschaft 1:23 Punkte und 5:153 Tore, das machte ihm gar nichts. Er sagt: "Die Jugendlichen sollen keine Superfussballer, sondern Supertypen werden!"

 

Dies ist auch meine Philosophie (wenn sie aber auch Superschachspieler werden, habe ich nichts dagegen).

 

Ich hoffe, dass Sie Ihren fuer andere Funktionaere unbequemen Weg weitergehen.

 

Viele Gruesse Ihr Walter Raedler

 

 

Impressum DSJ-Forum

 

Herausgeber: Deutsche Schachjugend, www.deutsche-schachjugend.de

Verlag: JugendSchachVerlag, Partner der Deutschen Schachjugend

Redaktionsanschrift: Geschäftsstelle Deutsche Schachjugend, Jörg Schulz, Hanns-Braun-Str. Friesenhaus I, 14053 Berlin.

 

Das DSJ-FORUM ist das Informationsblatt der Deutschen Schachjugend. Es erscheint 10mal im Jahr als Beilage der Zeitung JUGENDSCHACH.

Das DSJ-FORUM wird gefördert aus Bundesmitteln des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.