...außerDEM... (1)

11.06.2014 15:45 - Autor: Stanley Yin

Auf der einen Seite Spitzensportler, die, ohnehin schon geplagt von den Anpassungsschwierigkeiten in der neuen Umgebung, unter der sengenden Sonne ihre Höchstleistungen nur mit Mühe abrufen - auf der anderen Seite die Fußball-WM: Was in Brasilien heute beginnt, erfahren wir bereits seit Samstag am eigenen Leibe. Im Fußballkontext entspräche der klimatische Umstieg von der letztjährigen Winter-DEM in Oberhof (wir verteilten Gelbe Karten für Schneeballschlachten) in das subtropische Sachsen-Anhalt in etwa einer Vergabe der WM erst nach Russland, dann nach Katar. Aber auf so eine abstruse Idee würde ja ohnehin niemand kommen.

Umso mehr überrascht es, dass der Rekord für die zeitlich längste DEM-Partie, möglicherweise sogar historisch (Hängepartien ausgenommen), gerade unter diesen Voraussetzungen aufgestellt wurde. Geschlagene 157 Züge und sieben Stunden kämpften Julian Kramer und Hans Möhn, U18, in der "Treibhausschlacht von Magdeburg". Erste Befürchtungen wurden laut, die Sofia-Regel sei von den Spielern missverstanden worden ("Kein Remis vor 21 Uhr"), bevor eine schwarze Bauernumwandlung die Seeschlange durchtrennte. An diesem denkwürdigen Dienstag pfiffen die Schiedsrichter um 22:30 Uhr ab.

Es ist nicht auszuschließen, dass der verantwortliche Zeitmodus gewissermaßen eine Rache Bobby Fischers an die Patzer der Nachwelt darstellt. Sah der bis vor wenigen Jahren hierzulande vorherrschende Modus noch eine maximale Spieldauer von meist fünf oder sechs Stunden vor, kann die nach geltenden Regeln längstmögliche Schachpartie (5899 Züge) im Fischer-Modus eine Spieldauer von etwa 6.000 Minuten hervorrufen - etwas mehr als vier Tage. Doch wer ein echter Deutscher Meister werden möchte, muss eben auch auf den Extremfall vorbereitet sein.

Angesichts dessen wäre es sicher eine Überlegung wert, analog zur FIFA, große Meisterschaften als Spielwiese für unterschiedlichste Modi einer möglichst effizienten und abrupten Verkürzung der Spieldauer zu verwenden. Steht beispielsweise nach sechs Stunden noch kein Sieger fest, könnte eine Verschlechterung der Stellung um 2 oder mehr Bauerneinheiten mit einem einzigen Zug als Partieverlust definiert werden (Golden Pawn). Nach acht Stunden könnte der Sieger in einem Taktikaufgaben-Duell, fünf Stellungen pro Spieler, ermittelt werden (der britische Schachverband meldet hierzu jedoch Bedenken an). Passend hierzu wäre auch die Erweiterung, in einem unentschiedenen Stichkampf mit Hin- und Rückspiel die Anzahl mit Schwarz geschlagener Bauern als Zweitkriterium zu verwenden.

Bereits solche minimalen Anpassungen könnten dem Schachsport neue Impulse setzen. Aus dem Nichts eröffneten sich neue Pläne, Ideen, Bewertungen. Die Attraktivität des Schachs würde ein neues Maximum erreichen, selbst vermeintlich totremise Endspiele bekämen plötzlich eine ungeahnte Würze verliehen, eine Spannung läge über den Brettern, die den körperlichen Sportarten in nichts nachstünde. Und wer war eigentlich nochmal Bobby Fischer?