Die Französischen Jugendmeisterschaften 2007 – la grandeur de la France

Ein Bericht von Rainer Niermann, einem deutschen Schiedsrichter vor Ort

Riesig!

Einfach nur riesig sind die Französischen Jugendmeisterschaften. Fast 1.100 Spieler, qualifiziert aus allen französischen Departements, treten in den Altersklassen „Juniors“ (U20) bis Poussinets (U8) gegeneinander an. Hinzu kommen 174 Spieler in den beiden Open „pour les Grandes“ und „pour les Petits“ sowie 71 Spieler in dem Trainer-Turnier.

Mit allen Begleitern kamen ab Ostern über 3.000 Personen in den französischen Alpen zusammen. Die meisten Teilnehmer wurden nämlich durch Eltern oder Trainer begleitet; eine Zusammenfassung wie in Deutschland zu Delegationen ist eher die Ausnahme.

Grand Bornand hieß der malerische Gastgeberort, an dem das Turnier vom Ostersonntag bis zum darauf folgenden Wochenende ausgespielt wurde. Vergleichbar vielleicht mit der früheren Ausrichtung der DEM in Winterberg verteilten sich die Angebote über den ganzen Ort: zwei Spielsäle und Unterkünfte in etlichen Pensionen und Appartements sowie eine Verpflegung in Eigenregie führten dazu, dass sich auch diese große Masse von Schachfans gut aus dem Weg gehen konnten. Das tolle Wetter der Osterwoche und die hübsche Skyline des Skiorts ließen das nicht als Belastung empfinden.

 

Der Turniersaal mit Blick auf die Berge

Eng!

Eng war es hingegen im Hauptturniersaal, richtig eng. Es war zwar eine ordentlich belüftete, moderne Halle – aber die Spieler mussten sich in langen Reihen mit schmalen Gängen quetschen, viele saßen direkt vor den störenden Tischbeinen. Es gab jedoch kein Murren darüber, dies ist wohl eine Sache der Ansprüche. Keinen Zutritt zu dem Turniersaal hatten die Begleiter – Eltern und Trainer. Dass dies schon nicht platzmäßig unmöglich gewesen wäre, bewiesen die beiden Fotosessions, zu denen vor Rundenbeginn Erwachsene eingelassen wurden.

Darüber hinaus entspricht der Ausschluss von Zuschauern auch der Tradition und Grundeinstellung des Französischen Verbandes. Das führte dazu, dass sich an jeder Glasscheibe einige Begleiter die Nase platt drückten, um den Blick in den Turniersaal zu erhaschen.

Blick in den Turniersaal - einmal mit und einmal ohne fotografierende Betreuer und Eltern

Professionell!

Schon beeindruckend war das Aufgebot von Partnern und Sponsoren, dass der Französische Verband auffahren konnte. Die BNP, eine große französische Bank, hat sich als Partner des Schachverbands die Verbreitung des Schachspiels zum Ziel gesetzt. Grand Bornand hat sich angeblich mit einem namhaften Betrag und vielen Sachleistungen die zahlreichen Besucher „erkauft“ und sich damit das Touristikgeschäft direkt zum Ende des Skisaison verlängert. Der Internetschachanbieter ICC, „Gaz de France“, die französische Raumfahrtagentur cnes und andere tragen ihr Scherflein zum Gelingen bei.

Remis? Nein!

Lapidar wurde in der Ausschreibung veröffentlicht: „Es ist verboten, seinem Gegner direkt Remis anzubieten. Das Angebot muss an den Schiedsrichter übermittelt werden; andernfalls droht die Wertung von 0 : 0“. Dieser Beschluss des französischen Exekutivkomitees musste vor Ort von den Schiedsrichtern umgesetzt werden.

Anfangs handhabten wir dies restriktiv; am zweiten Tag habe ich gut die Hälfte von vierzig Remisanfragen abgelehnt. Meine Aufgabe war es nämlich, die entsprechende Entscheidung in allen Gruppen zu treffen. So lief ich von Brett zu Brett, mein eigenes Turnier mit nur neun Spielerinnen ließ mir dafür auch genügend Zeit. Nur in blockierten oder technisch klaren Stellungen durfte ich dem Remis zustimmen. Zahlreiche Einzelfälle (Stellungswiederholungen vor allem) haben uns in der internen Diskussion über die Handhabung weiter gebracht, so dass wir Schiedsrichter immer großzügiger wurden. Die Gefahr, durch eine Entscheidung in den Partieverlauf einzugreifen, ist halt immens groß.

 

Interessanterweise wurde die Diskussion, dass wir mit dieser französischen Handhabung klar gegen die FIDE-Regeln verstoßen haben, von keinem Spieler oder Betreuer geführt. Trotz Elo-Auswertung und Qualifikation zur WM und EM war dies kein Thema. Die Franzosen gehen da ganz selbstbewusst heran und nehmen sich aktuell halt vor, die FIDE-Regeln entsprechend zu ändern.

Gewonnen!

Am Ende steht die Siegerehrung, natürlich. Sie wurde angereichert mit Reden zahlreicher Honoratioren, die glücklicherweise locker über die Ehrungen der einzelnen Gruppen verteilt wurden. Die ersten zehn jeder Gruppen wurden benannt, die ersten fünf erhielten auf der Bühne ihre Ehrengaben und Gratulationen. Foto und ab.

Trotzdem strahlte auch dies wieder eine Größe und ein Selbstbewusstsein aus, wie sie uns in Deutschland eher fremd sind.

Für einen deutschen Schiedsrichter kann dies schon ein spannender Moment sein, den Verein „Echiquier Guingampais“ vorzutragen. Aber auch das geht vorüber.

Schach!

Die Namen sagen uns ja wenig; aber der Sieg des frisch gebackenen, 16jährigen IMs Sebastien Feller in der U20 mit 9 aus 9 ist schon eine Erwähnung wert.

Durch die großen Teilnehmerfelder muss man natürlich teilweise auch Abstriche in der Stärke der Spieler akzeptieren. Aber insgesamt macht Frankreichs Jugend einen ehrgeizigen und spielfreudigen Eindruck, so dass ich ihnen weitere gute Erfolge zutraue.

Rahmenprogramm?

Der Rahmen war gut, aber ein Programm dafür gab es nicht. Essen, Wetter, lockerer Zeitplan und die schöne Landschaft brachten einen in Urlaubsstimmung, da brauchte keiner etwas zu organisieren.

Was trotzdem lief: Die Lifeübertragung von Partien ins Kino direkt neben dem Turniersaal. Die Technik war perfekt; und als ein dann auch noch ein zuschauernder IM sich beherzt ein Mikrofon besorgte und die ganze Woche freiwillig die Partien kommentierte, war dies sogar für die Zuschauer ansprechend gelöst.

Können wir was lernen?

Die DSJ und auch der französische Verband verfügen jetzt, nach dem Schiedsrichteraustausch mit Laurent Freyd, der die DEM 2006 bereichert hat, und jetzt dem Gegenbesuch in Grand Bornand über eine Menge neue Eindrücke und Ideen. Sie stehen den Gremien beider Seiten als detaillierte Übersicht zur Verfügung.

Die Franzosen sprachen direkt wieder eine Einladung für 2008 aus; die Sache bleibt also in Bewegung.

 

"Schiedsrichter haben eher eine pädagogische Rolle"

"Supervisor" Christo Dimitrov

Ein interessantes Zitat des „Supervisor“ genannten Hauptschiedsrichters Christo Dimitrov, das zeigt, wie nahe die fanzösische Auffassung vom Jugendschach der unseren gleicht:

 

Frage : Die Jugendlichen sind doch für die Schiedsrichter keine zu schwierigen Spieler?

 

Christo : Die Schiedsrichterarbeit ist mit Jugendlichen sicher anders als mit Erwachsenen. Die Schiedsrichter haben eher eine pädagogische Rolle einzunehmen. Beispielsweise zögert man eher, einen ersten Fehler zu bestrafen und bevorzugt stattdessen, Fehler zu verhindern, sowie Erläuterungen und Beispiele zu geben.